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Brustgeschirr oder Halsband?

Artgerechte Hundehaltung und respektvolles Hundetraining beginnen mit der Wahl der richtigen Ausrüstung. Studien über die Gesundheit und das Verhalten von Hunden zeigen, dass körperliche Schäden und Verhaltensauffälligkeiten bei vielen Hunden auf die Einwirkungen des Halsbands zurückzuführen sind. Wir können in vielen Situationen nicht ausschließen, dass unsere Hunde ruckartig oder lang anhaltend an der Leine ziehen. Ein passendes Brustgeschirr ist eine hundefreundliche Alternative, die die Gesundheit des Hundes schont und dem Auftreten von problematischem Verhalten vorbeugt.

 

Eingeschränkte Blutzufuhr und Sauerstoffunterversorgung

Gerade auf der Halsunterseite ist die Muskulatur bei Hunden nicht besonders gut ausgeprägt. Druck auf den Halsbereich eines Hundes bei dauerhaftem oder plötzlichem Ziehen bewirkt, dass die Blutzufuhr eingeschränkt wird. Dadurch entsteht Sauerstoffmangel im Gehirn. Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsbeschwerden, Ohrgeräusche sowie eine schmerzhafte Erhöhung des Augeninnendrucks können die Folgen sein.

 

Sehstörungen beim Hund als Folge vom Halsband

Ein hoher Augeninnendruck kann zu Sehstörungen, dem Erkranken am Grünen Star und zur Erblindung führen. Aus einer Studie, die an der Universität Wisconsin-Madison im Jahr 2006 durchgeführt wurde, geht hervor, dass der Augeninnendruck bei Hunden die am Halsband ziehen signifikant ansteigt, am Brustgeschirr jedoch nicht. Amy M. Pauli untersuchte die Augen von 26 Hunden und kam dabei zu dem Schluss, dass gerade für Hunde mit schwacher oder dünner Hornhaut, Grünem Star oder mit Erkrankungen für die eine Erhöhung des Augeninnendrucks schadhaft wäre, ein Brustgeschirr anstatt ein Halsband tragen sollten. Rassen, die eine erbliche Veranlagung für die Ausbildung von Grünem Star aufweisen sind: Alaskan Malamute, Dackel, Pudel, Basset Hound, Cocker Spaniel, Chihuahua, Chow-Chow, Dalmatiner, Entlebucher Sennen- hund, Samoyede, Siberian Husky, Shar Pei, Terrier Rassen,...

 

Sauerstoffunterversorgung druch Zug am Halsband

Eine Sauerstoffunterversorgung ist oft hörbar. Die Hunde beginnen zu röcheln und/oder zu husten. Atemnot löst Todesangst aus! Viele Tiere reagieren darauf, indem sie versuchen nach vorne zu flüchten und verschlimmern ihre Lage dadurch unbewusst. Die Symptome einer Sauerstoffunterversorgung reichen von vermehrtem Hechen bis hin zum "blau Anlaufen der Zunge".

 

Dauerhaftes Ziehen am Halsband kann Kehlkopfentzündungen verursachen

Anhaltender Druck auf den Halsbereich eines Hundes, wie er etwa durch länger andauerndes Ziehen am Halsband entsteht, kann zu einer Kehlkopfentzündung führen. Zu den Symptomen gehören anfallartiges, in Schüben auftretendes lautes und trockenes Husten sowie Würgen und Schluckbeschwerden bis hin zur Atemnot.

 

Ein Halsband begünstigt Verspannungen und Blockanden des Bewegungsapparats

Damit der Kehlkopf und die oberen Atemwege freigehalten werden können, spannen die Tiere ihre Halsmuskulatur an. Dies wiederum begünstigt Verspannungen und Blockaden im Bewegungsapparat und führt zu denselben Beschwerden, wie sie auch beim Menschen bekannt sind: Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Schmerzen in der Wirbelsäule, chronische Nackenschmerzen und vieles mehr. Auch vom Facharzt können diese sehr häufig auftretenden Symptome nicht zugeordnet werden, da beim Röntgen, MRT oder CT nichts Pathologisches zu erkennen ist. Möglicherweise kennen Sie das: Sie haben fürchterliche Rückenschmerzen aber Ihre Ärzte versichern Ihnen, dass alles in Ordnung ist. Die Verspannung zermürbt Sie dennoch. Wie wir Menschen leiden auch unsere Hunde unter chronischen Schmerzen. Das ständige Unwohlsein und ein Schmerz, der einfach nicht weggeht, kann das Wesen verändern und zu Verzweiflung und Aggression führen.

 

Was Rückenprobeleme beim Hund mit Verhaltensauffälligkeiten zu tun haben

Anhaltendes Unwohlsein beeinflusst also das Verhalten eines Hundes im Alltag. Die Reizschwelle wird herabgesetzt und aus Verzweiflung können aggressive Verhaltensweisen auftreten. Im Animal learn Verlag ist ein Untersuchungsreport von Anders Hallgren aus dem Jahr 2001 erschienen, der sich mit den Auswirkungen von Rückenproblemen und den damit verbundenen Schmerzen auf das Wesen und Verhalten des Hundes befasst. Die Auswertung der Tiere zeigte, dass 79 Prozent der aggressiven und/oder gestressten Hunde sowie 69 Prozent der zurückhaltenden Hunde an Rückenproblemen litten. 91 Prozent jener Hunde, die Schäden an der Halswirbelsäule aufwiesen, waren zuvor Rucken oder starkem und lang anhaltendem Ziehen an der Leine ausgesetzt. Eine weitere und häufige Ursache für Rückenprobleme bei Hunden stellen laut Hallgren Einwirkungen dar, die zu einer Fehlverteilung des Körpergleichgewichts führen. Diese Fehlverteilungen des Körpergewichts entstehen beispielsweise beim Rucken und beim Hochziehen des Hundes am Halsband. Ein Brustgeschirr bietet im Vergleich zum Halsband wesentlich mehr Stabilität für das Tier im Alltag.

 

Erhöhtes Verletzungsrisiko durch schmale Halsbänder oder lange Leinen

Insbesondere bei schmalen Halsbändern besteht ein hohes Verletzungsrisiko, denn ein starker Ruck kann bereits einen Bandscheibenvorfall auslösen. Ein Bandscheibenvorfall kann zu Missempfindungen wie Ameisenlaufen, Taubheitsgefühlen, Ausfallerscheinungen, zu Störungen der Blase und des Darms sowie zu Lähmungen führen. Halsbänder sollten deshalb grundsätzlich eine Dicke aufweisen, die den Druck auf mindestens zwei Wirbelkörper verteilt.

Noch schwerwiegender können die Folgen sein, wenn ein Hund mit einer langen Leine am Halsband geführt oder angebunden wird. Versucht der Hund nun einem Ball oder einer Katze hinterher zu jagen und rennt dabei mit seinem Körpergewicht und hoher Geschwindigkeit in die Leine, wird die gesamte Kraft vom Halsbereich des Tieres aufgefangen. Ein derart starker Leinenruck kann Verletzungen der Wirbelkörper verursachen und sogar zum Genickbruch – und damit zum Tod des Tieres – führen.

 

Kleine Drüse - große Wirkung: Die Schilddrüse und das emotionale Gleichgewicht

Eine gesunde Schilddrüse ist für das emotionale Wohlbefinden von Menschen und Hunden gleichermaßen wichtig. Dieses Organ befindet sich seitlich des Kehlkopfes und wird durch Druck im Halsbereich in der Funktion beeinträchtigt, beschädigt oder sogar zerstört. Schwerwiegende Veränderungen des Wesens und des Verhaltens des Hundes sind die Folge. Plötzliche, „unprovozierte“ Aggressionen, schizophrenes Verhalten, Angstzustände ohne erkennbaren Grund, Emotionsarmut und Lethargie zählen zu den Symptomen. Tiere die an einer Schilddrüsen Fehlfunktion leiden benötigen lebenslang und täglich die Gabe von Medikamenten, damit sie sich wohlfühlen und ausgeglichen sind.

 

Leinenaggression: Fehlverknüpfung im sozialen Kontext

Der Hals ist ein empfindsamer Körperbereich und auch ein wichtiges soziales Organ für die Kommunikation des Hundes. Ein weiterer Einfluss, der sich negativ auf das Sozialverhalten des Hundes auswirkt ist beispielsweise das Führen des Tieres an Halsband mit angespannter Leine in Begegnungssituationen. Das Konfliktpotenzial erhöht sich, da der Hund in eine Körperhaltung gezwungen wird, die auf andere Hunde bedrohlich wirkt. Das Tier wird „aufgerichtet“ und Missverständnisse in der gegenseitigen Kommunikation entstehen. Unhöfliches und schlechtes Benehmen sind die Folge. Dadurch wird aggressives Verhalten an der Leine zu einem der am häufigsten zu therapierenden Probleme in den gegenwärtigen Hundeschulen.

Die Leinenaggression ist ein klassisches Beispiel einer Verhaltensproblematik, die durch das Führen des Hundes am Halsband gefördert wird. Ursachen, sind negative und/ oder schmerzhafte Erfahrungen bei Begegnungen mit Artgenossen. Macht beispielsweise ein junger Hund immer wieder die Erfahrung, dass er keine Luft mehr bekommt und Schmerz erfährt, wenn er sich vor lauter Freude beim Anblick eines Spielgefährten in die Leine wirft, verändert sich seine Erwartungshaltung und bei zukünftigen Hundebegegnungen werden anstelle der zuvor empfundenen Freude, abwehrende Verhaltensweisen gezeigt. Augrund der Fehlverknüpfung versucht das Tier nun andere Hunde zu vertreiben und/oder anzugreifen. Der Leidensdruck von Hund und Mensch ist groß und eine nachhaltige Verhaltensveränderung erfordert viel Geduld und Einfühlungsvermögen.


Was spricht gegen ein Halsband?

Wir können in vielen Situationen nicht ausschließen, dass unsere Hunde plötzlich oder lang anhaltend an der Leine ziehen. Gestresste Tiere ziehen ausdauernd und Welpen, junge oder ängstliche Hunde springen oft plötzlich und mit voller Wucht in die Leine. Aber auch wohlerzogene Tiere erschrecken sich ab und an oder geraten in Situationen, denen sie nicht gewachsen sind.

Aus allein diesen Gründen sollten Hunde an einem gut sitzenden Brustgeschirr geführt werden. Ein bewusster Umgang mit dem Hund, Fürsorge und Mitgefühl sowie eine entsprechende Verhaltensförderung sind die weiteren Zutaten für ein entspanntes Zusammenleben von Mensch und Hund.

Das Brustgeschirr

Für viele Hunde ist ein T-Geschirr die richtige Wahl. T-Geschirre bieten i.d.R. genügend Freiraum im Achselbereich der Hunde durch einen verstellbaren Bruststeg. Für kleine Hunde sind andere Bauarten (X-Geschirre) empfehlenswerter und für Windhunderassen sollten spezielle Windhundgeschirre verwendet werden. Da Windhunde sehr Körpersensibel sind, werden Windhundegeschirre sehr gut gepolstert und schneiden nicht ein. 

TIPP: Einige Hunde, die an das Geschirr noch nicht gewöhnt sind, knabbern an den Gurten. In solchen Fällen ist es empfehlenswert, das Brustgeschirr erst kurz vor dem Spazierengehen anzulegen und direkt nach dem Spaziergang auszuziehen (ggf. schon im Auto).

Was macht ein gut sitzendes Brustgeschirr aus?

  • Ein gutes Brustgeschirr kann von 2 Seiten geöffnet werden. Dadurch fällt das Anziehen Hund und Mensch leichter.

  • Die Verschlüsse sind abgerundet und die Dicke des Gurtbandes ist auf die Körpergröße und das Gewicht des Tieres abgestimmt

  • Wichtig ist, dass hinter den Vorderläufen des Hundes genügend Platz bleibt, damit das Gurtband nicht bei den sensiblen Achselbereichen des Tieres einschneidet. 

  • Das Geschirr sollte locker sitzen aber nicht ständig hin und her rutschen. Das Brustgeschirr sollte so nahe am Körper anliegen, dass man 1-2 Finger unter die Gurte schieben kann. Ein zu locker sitzendes Brustgeschirr kann verrutschen und reiben, und dadurch den Hund stören.

  • Es ist darauf zu achten, dass der Metallring am Brustkorb nicht auf dem Brustbein liegt, sondern auf der gut gepolsterten Brustmuskulatur.

  • Das Halsteil sollte so bemessen sein, dass die Schultergelenke und die Schulterblätter in der Bewegung nicht eingeschränkt werden sowie die Halsregion nicht beeinträchtigen.

  • Der Rückensteg und der Bruststeg müssen fest miteinander vernäht sein, damit sie beim Tragen nicht hin und her rutschen.

  • Das Brustgeschirr sollte aus weichem Material genäht sein und weder die Gurte noch die Vernähungen sollten beim Tragen einschneiden.

  • Die Verschlüsse sollten eine Handbreit neben der Wirbelsäule liegen und nicht am Körper anliegen, also unterlegt bzw. gepolsterst sein. Idealerweise verlaufen Brust- und Bauchsteg parallel nach hinten und enden im hinteren Drittel des Brustkorbes. Damit ist einerseits gewährleistet, dass der Bauchgurt in der Bewegung nicht zu nah an den Achseln liegt, und andererseits sollte das Geschirr auf Zug nicht über den Brustkorb hinausragen. Es ist wichtig, dass beide Stege plan aufliegen und keine Bögen in der Bewegung werfen bzw. wenn die Leine befestigt ist

  • Der Ring oder die Öse für die Befestigung der Leine sollte durch einen Polster am Körper erweitert sein, damit der Karabiner der Leine nicht auf der Wirbelsäule des Hundes aufschlägt


Welche Vorteile hat ein Brustgeschirr?

  • Die Gesundheit des Tieres wird geschont

  • Das Risiko von Fehlverknüpfungen wird vermindert

  • Auch bei langem Fell ist in Gefahrensituationen ein sicherer, schneller und einfacher Zugriff durch den Menschen möglich

  • Verletzungen an den Fingern, die entstehen können, wenn der Hund sich am Halsband windet werden ausgeschlossen

  • Viele Hunde hören in Verbindung mit einer 3 Meter langen Leine von sich aus auf zu ziehen

  • Tragekomfort für das Tier

  • Der Hund wirkt freundlicher

  • Bietet dem Hund mehr Stabilität (Gewichtsverteilung)


Wie wird ein Brustgeschirr angelegt?

  • Der Mensch platziert sich seitlich vom Hund

  • Mit einer Hand die Halsöffnung aufhalten

  • Mit der anderen Hand ein Leckerchen vor die Öffnung halten. So wird der Hund den Kopf durch die Halsöffnung stecken, um an das Leckerchen zu gelangen

  • Nun das Brustgeschirr über den Kopf und Hals des Hundes führen und seitlich verschließen.


Literatur:

  • Anders Hallgren, Rückenprobleme beim Hund (Untersuchungsreport), Animal learn Verlag Beate Zimmermann, Schilddrüse und Verhalten (Schilddrüsenunterfunktion beim Hund), MenschHund! Verlag

  • Amy M. Pauli, Ellison Bentley, Kathriyn A. Diehl and Paul E. Miller, Effects of the Appli- cation of Neck Pressure by a Collar or Harness on Intraocular Pressure in Dogs, Journal of the American Animal Hospital Association 2006; 42:207-211

  • Clarissa v. Reinhardt, Leinenaggression, Animal learn Verlag

  • Turid Rugaas, Hilfe, mein Hund zieht! Animal learn Verlag

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