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Fünf Fragen an Anne Lill Kvam

Warum ist Nasenarbeit als Beschäftigung so gut für Hunde und was fasziniert dich daran besonders?

Was mich an der Nasenarbeit fasziniert, ist, wie sehr Hunde sie lieben. Sie blühen dabei auf und man kann förmlich zusehen, wie sie innerlich wachsen und selbstbewusster werden. Sie wissen intuitiv, wenn sie es richtig gemacht haben, selbst wenn wir sie nicht dafür loben würden, weil es für sie das Natürlichste der Welt ist. Die Arbeit mit dem Geruchssinn der Hunde hat auch mich sehr weiter gebracht. Ich musste viel über die anderen Sinne lernen, weil die immer da sind und das Training oft stören. Ich musste mich mit dem Nervensystem, mit dem Gehirn, den Emotionen und dem Verhalten auseinandersetzen, denn das alles hängt eng zusammen und beeinflusst sich gegenseitig. Das ist absolut faszinierend.

Worauf legst du besonders großen Wert, gerade wenn es, etwa in der Suche nach Verschütteten oder bei der Minensuche, nicht mehr ums Vergnügen sondern im Ernstfall um Leben und Tod geht?

Dem Hund ist es egal, ob er nach einer Mine, einem Menschen oder einem Teddybär sucht. Doch wenn Hunde als „Werkzeug“ für eine Aufgabe dienen, und nichts anderes sind sie bei der professionellen Sucharbeit, dann muss man sie schützen. Man muss wissen, wie die Aufgabe sein wird und die Hunde gut darauf trainieren. In Kobe* habe ich erlebt, dass Hunde durch die Sucheinsätze depressiv wurden, weil sie darauf trainiert waren, Menschen lebend zu finden, was nach einigen Tagen leider nicht mehr der Fall war.

Außerdem ist es wichtig, die Körpersprache der Hunde verstehen zu lernen, damit man merkt, wenn der Hund physisch oder mental an seine Grenzen gerät. Hunde müssen eine Pause bekommen, wenn sie eine Pause brauchen. Professionellen Suchhundeführenden rate ich deshalb immer dazu, zwei Hunde zu haben. Ein Mensch kann den ganzen Tag mit der Suche verbringen, ein Hund kann das nicht.

*  Bei einem katastrophalen Erdbeben in Kobe (Japan) am 17. Januar 1995 kamen 6.434 Menschen ums Leben und über 100.000 Gebäude wurden zerstört.

Dich verbindet eine langjährige Freundschaft mit Turid Rugaas, die 1996 mit deiner Hundetrainerausbildung in ihrer Hundeschule begonnen hat. Was hat dich damals zu ihr geführt?

Die Anregung kam von einer befreundeten Hundehalterin. Sie hatte vor, die Hundetrainer-Ausbildung bei Turid Rugaas zu machen und meinte, das könnte auch etwas für mich sein. Ich hatte schon Jahre vorher von Turid, von den Calming Signals und ihren Trainingsansätzen gehört. Damals gab es noch viele, die darüber gelästert haben. Sie würde mit zu vielen Leckerlis und viel zu sanft arbeiten, hieß es und sie würde damit auch überhaupt keine Resultate erzielen. Das war zu einer Zeit, als es noch „normal“ war, dass Hundetrainer mit ihren Methoden Hunde richtiggehend ruiniert haben. Und das ist bei Turid nicht ein einziges Mal passiert. Dafür habe ich sie schon damals bewundert.

Seit vielen Jahren bildest du selbst Hundehaltende und Trainer*innen auf der ganzen Welt aus und sprichst auf internationalen Konferenzen und Symposien. Was hast du dabei über die Unterschiede zwischen Hunden und Menschen auf der Welt gelernt?

Hunde sind überall auf der Welt Hunde, aber es gibt große Unterschiede zwischen den Menschen, in ihrer Einstellung, in ihrer Kultur und in einigen anderen Bereichen. Vor vielen Jahren habe ich im „Canine Good Citizen“-Programm** in Norwegen und in Japan mitgearbeitet. Da hat sich die Frage gestellt: Was muss ein Hund in Japan können, um dieses Zertifikat zu erhalten? Eine Anforderung war dann zum Beispiel, dass die Hunde sich die Pfoten abstreifen, bevor sie ein Haus betreten oder auch, dass sie mit den dort häufig vorkommenden Papierwänden ganz besonders vorsichtig sind.

**Das Canine Good Citizen-Programm wurde 1989 vom American Kennel Club zur Förderung eines verantwortungsvollen Hundebesitzes und der Ausbildung „gut erzogener" Hunde ins Leben gerufen.

Was ist deine Vision von einem idealen Miteinander zwischen Mensch und Hund –  in der Arbeit genauso wie im Privaten?

Ich würde mir wünschen, dass wir Hunden mehr eigene Wahlmöglichkeiten einräumen. In der Art, wie wir in unserer modernen westlichen Welt Hunde halten, haben die Bedürfnisse der Hunde kaum Platz. Hunde erfüllen meist einen Zweck für uns. Dabei stört mich persönlich am meisten die Überzeugung, dass der Hund in meinem Leben ist, um für mich da zu sein und meinen Ansprüchen gerecht zu werden. Hier sollten wir alle einen Schritt zurück machen und unsere Hunde und ihre Bedürfnisse besser wahrnehmen und respektieren, anstatt sie nur herumzukommandieren.


Anne Lill Kvam

bildete 1986 ihren eigenen Hund für den Such- und Rettungsdienst aus – und entdeckte dabei ihre Passion für die Arbeit mit Hunden. 1996 schloss die Norwegerin ihre Trainerausbildung bei Turid Rugaas ab und arbeitet seither hauptberuflich als Hundetrainerin. Von 1997 bis 2000 bildete Anne Lill im Auftrag der Hilfsorganisation „Norwegian Peoples Aid“ in Angola Minenspürhunde aus und überwachte die Minenräumung. Seit ihrer Rückkehr ist sie eine gefragte Referentin für Nasenarbeit und Spurensuche im In-und Ausland. Anne Lill Kvam ist Mitglied bei der PDTE - Pet Dog Trainers of Europe sowie Teil der IDTE – International Dog Trainers Education, Autorin des Standardwerks „Spurensuche: Nasenarbeit Schritt für Schritt“ (Animal Learn 2005) und leitet in Norwegen ihre eigene Hundeschule.

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